Montag, 21. Mai 2007
Wertenutella



Ich erinnere mich sehr gut daran, wie erschreckend und unwirklich meine Lektüre von Orwells 1984 vor ein paar langen Jahren gewesen ist. Dieses dystopische Meisterwerk hat mich damals sehr beeindruckt und unheimlich geängstigt und fasziniert zugleich.
Die Vorstellung eines ›großen Bruders‹, die Gedankenpolizei, die Gleichschaltung der Massen.

Ich bin ein sehr freier Mensch, ich mag mein Recht auf Selbstbestimmung, ich gehe davon aus, dass es ziemlich vielen Menschen auf diesem Planeten ebenso geht. Ich wuchs in einer relativ demokratischen Gesellschaft auf und habe gelernt mir ihre Werte früh morgen auf mein Nutellabrot zu schmieren, genüsslich rein zu beißen und das Ganze zu schlucken. Deshalb war Orwells Roman für mich immer eine Fiktion, eine Auseinandersetzung mit einem Gesellschaftskonzept, welches in absehbarer Zeit eben nicht zur Anwendung kommen könnte. Dieser Gedanke hat mich sehr lange unheimlich beruhigt.

Und jetzt haut mit doch seit einiger Zeit ein komisches Gefühl seine Faust immer wieder voll in meine Magengrube und schreit was ich doch für ein naiver Idiot wäre. Wie ich denn glauben könne solch ein Fiktion könne in einigen Punkten nicht Wirklichkeit werden, wenn sich doch um mich herum die Zeichen mehren.

Ich bin einer der Glücklichen die es geschafft haben vor dem November 2005 noch einen Reisepass zu beantragen, der noch nicht mit dem leckeren kleinen RFID Chip bestückt worden war. Dieser kleine unscheinbare elektronische Zusatz, der per Funk ein paar recht persönliche Daten, welche mir rechtlich nicht einmal einsehbar sind, enthält und mich deutlich mit erhobenem Zeigefinger mahnt, mich ab sofort nicht mehr in die warme Zuversicht zu hüllen meine Identität sei ein unantastbares Gut und die Identifizierbarkeit meiner Person sei ein mir durch das so genannte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes 1983 gegebenes Grundrecht.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eben nur allgemein, wie mir scheint.
Ich habe recht bald erfahren, dass es sehr müßig ist sich auf Gesetze zu verlassen, denn mal ehrlich es gibt sehr viele davon. So viele das viele Leute sehr hoch dafür bezahlt werden sich im Notfall ausgesprochen spezialisiert damit zu befassen und mich gegebenenfalls vor einem Gericht, hoffentlich in meinem Sinne zu vertreten, denn ich habe leider wirklich nicht sehr viel Erfahrung damit.

Ui ui, und seit dem 11. September 2001 sind noch mal einige Gesetze erlassen und große Gedanken gedacht worden und einige davon versenken mein Selbstverständnis von Selbstbestimmung und Gleichheit irgendwo in einer in unserer Gesellschaft mittlerweile kultivierten Angstpfütze. Treffer!

Da kommen auf leisen Sohlen und auf Samtpfötchen, ganz klitzeklein und fast unbemerkt die verschiedensten Neuerungen unserer Informationstechnologie unsere Treppen herauf geschlichen. Die knacken erst mal unsere Türschlösser mit dieser subtilen Angst vor neuen Terroranschlägen, setzen sich dann mit ihren großen Klimperaugen aufs Sofa und faseln was von Sicherheit und Notwendigkeit und wollen gekrault werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, einem längerem Aufenthalt in Israel, was es bedeutet mit der Angst vor Terror zu leben und irgendwie haben meine Finger keine Lust diese kleinen Dinger zu streicheln und an mich zu drücken, also entschließe ich mich nicht hinzuhören.
Leider ist es ziemlich egal, ob ich zuhöre oder nicht, ob es mir passt was die da so vor mir ausbreiten in ihrem Fachgeschnurre, fest steht, dass sich etwas verändert hat wenn die wieder mein Haus verlassen haben und ich ziemlich verwirrt schlafen gehe.

Ich stehe dann morgens wieder auf, polier mir die Fresse, hock` mich an den Frühstückstisch und bemerke beim Griff zum Wertenutella, dass es ein wenig leichter geworden ist. Ich schmiere es mir auf meinen neuen biometrischen Reisepass und kann leider nicht vermeiden, dass ein paar fettige Nutellafingerabdrücke darauf zurückbleiben. Ich beiße herzhaft rein, doch der Bissen bleibt mir an diesem Morgen im Halse stecken.

der Jaybeal

... link (1 Kommentar)   ... comment